Illustration Critical Chain Project Management

Projekte und Ressourcen in Einklang – mit Critical Chain Project Management

7 min Lesedauer

Critical Chain Project Management (CCPM) elektrisiert immer noch. Mehr als 25 Jahre nach der Erstveröffentlichung treffe ich immer noch Menschen, die fasziniert, gar beflügelt von dem Konzept sind. CCPM scheint einen Nerv zu treffen, da wo klassische Projektmanagement-Techniken nicht mehr weiterführen und agile Techniken nicht zu funktionieren scheinen. Und das mit einer Betonung des Ressourcenmanagements. Was steckt also dahinter?

Die Theory of Constraints

Ausgangspunkt des CCPM ist die Theory of Constraints, die Engpasstheorie (TOC). Diese in den 80er Jahren vom Physiker Eliyahu Goldratt entwickelte Methode optimiert Produktionsprozesse. Kernerkenntnis ist: Jeder Wertschöpfungsprozess hat immer einen Engpass. Und genau dieser Engpass bestimmt, wieviel die gesamte Produktionskette erzeugen kann. Klingt vielleicht ein bisschen simpel, ist aber sehr spannend.

Stellen Sie sich eine riesengroße Autofabrik mit gewaltigen Maschinen, tausenden von Menschen und einem dauerhaften Tumult vor. Bei der Montage der Scheibenwischer fallen nun Mitarbeiter aus Krankheitsgründen aus und es können nur noch 20 Fahrzeuge pro Stunde ausgestattet werden. Das bedeutet, dass die gesamte Fabrik ab sofort nicht mehr als 20 Fahrzeuge pro Stunde ausliefern kann. Der Engpass bestimmt also den Gesamtoutput. Und somit muss nicht mehr Material angeliefert werden als für 20 Fahrzeuge pro Stunde.

Genau deswegen ist es gemäß Goldratt wichtig, den Engpass zu finden und die Leistung dort zu steigern. Denn: Wenn mehr durch den Engpass fließt, fließt auch mehr durch das gesamte System. Interessant dabei: Selbst ineffizientes Arbeiten wird am Engpass zugelassen. Im Beispiel könnten also selbst durch ungeübte Fachkräfte, die langsamer arbeiten und kontrolliert werden müssen, mehr Scheibenwischer montiert und somit der Gesamtoutput erhöht werden.

Drum-Buffer-Rope

Das gedankliche Bild, das Goldratt für dieses System etabliert hat ist das berühmte „Drum-Buffer-Rope“. Die Trommel, der Engpass, definiert den Rhythmus des gesamten Systems. Vor dem Engpass sollte immer genügend Material gepuffert werden. Das verhindert den Stillstand des Engpasses, wenn es stromaufwärts Probleme gibt. Schließlich wird ein gedankliches Seil (Rope) vom Engpass zur Warenausgabe vor dem ersten Produktionsschritt gespannt. Im Ergebnis befindet sich kein unnötiges Material in der Produktion, das gebundene Kapital bleibt schlank und es entsteht ein stetiger Fluss an Output.

Ein kleines Beispiel:

Stellen Sie sich als einfaches Beispiel vor, Sie müssen Ihre Garage ausräumen. Der Engpass sind in diesem Fall Sie, oder genauer gesagt Ihre verfügbare Zeit. Der Puffer ist die Liste mit Aktivitäten, die Sie angehen können, sobald Sie Zeit haben. Das Seil ist Ihr Signal, dass sie demnächst mit einer Aktivität fertig werden und die Vorbereitungen für die nächste beginnen können.

Beispielsweise müssten Sie rechtzeitig ein Entsorgungsunternehmen beauftragen, die alten Möbel abzuholen. Erst wenn diese abgeholt sind, können Sie den alten Teppich darunter herausholen. Falls das Unternehmen nicht rechtzeitig kommt, können Sie schon einmal beginnen, das Altpapier zusammenzusammeln – sie bedienen sich aus dem Puffer.

Critical Chain Project Management

In den 1990er Jahren wendete Goldratt die Theory of Constraints aufs Projektmanagement an – Critical Chain Project Management (Goldratt, Eliyahu M.: Critical Chain, The North River Press, 1997). Im „Produktionssystem“ eines Projekts soll CCPM die Erzeugung stetigen Fortschritts unter Kenntnis begrenzender Ressourcen sicherstellen. Das Produktionssystem ist die Wertschöpfung im Projekt – dargestellt im Projektplan. Dort wird die Abfolge der Vorgänge, deren Abhängigkeiten und die Nutzung der Ressourcen festgelegt.

Nicht verwechselt werden sollte Critical Chain Project Management mit dem kritischen Pfad, dem Critical Path (CP). Bei letzterem werden die „kritischen“ Vorgänge gesucht, also die Vorgänge, deren Verspätung das Projektende gefährden. Siehe hierzu die untenstehende Abbildung: 

Beispiel Critical Path

Die roten Vorgänge liegen auf dem kritischen Pfad – durch eine Verzögerung verspätet sich das ganze Projekt; der blaue Vorgang hingegen hat mehr als 7 Wochen Zeitpuffer.

CCPM setzt sich nicht nur mit der prognostizierten Dauer von Vorgängen auseinander, sondern erkennt an, dass sich Unsicherheiten und Risiken insbesondere auf die Verfügbarkeit von Menschen und Equipment auswirken. Goldratt schlägt deswegen verschiedene Gegenmaßnahmen vor, um einen stetigen Fluß der Arbeit durch das Projektsystem zu erreichen.

Erstens:

Multi-Tasking, also das Springen zwischen verschiedenen Tätigkeiten, ist ineffizient. Schließlich geht durch die geistige Umstellung auf das nächste Thema Zeit verloren – Experten behaupten um die 40%. Es sollten also von vornherein nicht zu viele Projekte gleichzeitig gestartet werden.

Erinnern Sie sich an den Drum-Buffer-Rope oben? Also – es sollte nur so viel neues Material (Projekte) ins System aufgenommen werden, wie der Engpass (der Mensch) verarbeiten kann. In der folgenden Abbildung wird das anhand eines „Tetris“ Screenshots eines Ressourcengebirges deutlich – Paula scheint in vielen Projekten gleichzeitig gebunden zu sein. Wahrscheinlich in zu vielen.

multitasking-screen
Zweitens:

Zweitens sucht das CCPM, genau wie die TOC, den Engpass. Engpassressourcen sind die Menschen oder das Equipment, die überlastet sind und auf die Projekte ständig warten müssen. Im Gegensatz zur CP-Methode bestimmen jedoch die Ressourcen die Folge von Vorgängen, deren Verzögerung das Projektende gefährdet. Das kann auch über Ketten hinweg der Fall sein. In der folgenden Abbildung wird deutlich, dass „Peter“ hier die kritische Kette bestimmt.

Beispiel Engpassressourcen

Sämtliche Tätigkeiten, in denen Engpassressourcen verplant werden, müssen bei der Projektplanung deswegen „gepuffert“ werden. Wie? 

  • Genug Zeit um den Einsatz dieser Ressourcen herum einplanen und somit vorwegnehmen, dass sie nicht rechtzeitig verfügbar sind. Goldratt bezeichnet diese Puffer als „feeding buffer“.
  • Ersatz-Personal oder Zusatz-Personal suchen, auch wenn es nicht gleich effizient ist.
Drittens:

Goldratt geht davon aus, dass in jede Tätigkeit Puffer eingeschätzt werden. Das sei aus zwei Gründen schlecht: Wenn es zu viel Puffer war, ergibt sich ein unnötiges Warten auf das „offizielle Ende“ des Vorgangs – eigentlich hätte schon früher begonnen werden können. Wenn es zu wenig Puffer war, gerät der Projektplan durcheinander.

Goldratts Lösung: Statt an jeden Vorgang Puffer anzuhängen, werden alle Puffer zusammengestrichen und in ihrer Gesamtheit ans Ende des Projekts gehängt. Sobald ein Vorgang abgearbeitet ist, wird unmittelbar der nächste begonnen. Sollte ein Vorgang länger brauchen, wird der Gesamt-Puffer („Project-Buffer“) aufgebraucht. Auf Zwischenmeilensteine zur Fortschrittsmessung wird konsequenterweise verzichtet.

Viertens:

Auf Zwischenmeilensteine zur Fortschrittsmessung wird konsequenterweise verzichtet. Anders als bei der „Earned Value Analyse“ wird Fortschritt nicht anhand der erledigten Arbeitspakete, sondern entlang der verbrauchten Zeit gemessen. Und genau diese wird dem verbrauchten Zeitpuffer gegenübergestellt. Es geht also primär nicht um die verbrauchten Aufwände, sondern um den zeitlichen Fortschritt. Wie bitte? Das führt ja zu Aufwandsüberschreitungen! Vielleicht – ja, diese werden genauso wenig gemessen, wie Aufwands-Unterschreitungen – es geht um die Auslieferung des Ergebnisses. Haben Sie das schon einmal gehört?
Klingt irgendwie agil, oder?  

Fünftens:

CCPM ermutigt Projektteams zu Offenheit und Kommunikation im Team als auch über Teams hinweg. Engpässe sollen gefunden und Lösungen gemeinsam erarbeitet werden, ohne auf die Intervention des Managements zu warten.

CCPM zusammengefasst

CCPM stellt gegenüber dem traditionellen Projektmanagement den Fluss von Arbeit durch das Projekt sicher. Die Anwendung des „Drum-Buffer-Tope“ reduziert Multi-Tasking und unnötige Wartezeiten. Gleichzeitig wird akzeptiert, dass beim Einsatz von Menschen eben Risiken entstehen und diese bei wichtigen Tätigkeiten (im Risikomanagement-Jargon) „mitigiert“ werden müssen. Schließlich werden Vorgänge statt in einer vorgegebenen Dauer eben „so schnell wie möglich“ erledigt. Das Team fokussiert sich voller Konzentration und ohne Multitasking auf ein Thema und braucht eben, solange es braucht. Das klingt schon ein wenig nach Scrum, oder?

Sollten Sie morgen mit CCPM starten?

Also – ist CCPM die Lösung aller Probleme? Gegenüber traditionellem Projektmanagement war CCPM ein großer Fortschritt – die Einbeziehung von Ressourcen erkennt die Realität der Praxis an: gleichzeitig werden hilfreiche Lösungsvorschläge bereitgestellt. Agile Methoden, deren Siegeszug seit den frühen Nullerjahren weiter anhält kritisieren jedoch, dass das Schätzen von Vorgangsdauern oder Puffern, ja sogar die Ausarbeitung eines Ablaufplans per se selbst „muda“ ist – also Verschwendung.

Sie fokussieren auf die Priorisierung von Arbeitspaketen und deren Abarbeitung in Sprints – die Reihenfolge kann und soll sich nach jedem Sprint ändern – je nach Wunsch des Kunden. Arbeit an Ergebnissen, die der Kunde gar nicht mehr benötigt, werden somit vermieden wie das Ausarbeiten unrealistischer Pläne. Insbesondere in Umfeldern hoher Unsicherheit ist das die bessere Alternative. Gleichzeitig tun sich agile Methoden schwer, Zuarbeiten unabhängig voneinander agierender Teams zu synchronisieren.

Tipps zur Abwägung
des Einsatzes von CCPM

  • Besonders gut ist CCPM dort geeignet, wo Schätz-Erfahrungen vorliegen. Das bedeutet, dass CCPM in Umfeldern von Unsicherheit nicht besonders geeignet ist – schließlich ist es dort schwierig bis unmöglich, die Dauer von Vorgängen zu schätzen, geschweige denn den Puffer. Sollte hingegen ein gewisser Erfahrungsschatz mit den einzelnen Themen vorliegen, ist CCPM auch in Umfeldern hoher Komplexität geeignet. Beispiele: Anlagenbau oder Releasewechsel großer Enterprise-Software-Lösungen.
  • Finden Sie Ihre Engpassressourcen. Überlegen Sie, ob diese durch externe Kräfte oder durch interne Ausbildung gestärkt werden können.
  • Lassen Sie Selbstorganisation zu! Gehen Sie transparent mit der Ressourcenauslastung um – lassen Sie Teams sehen, wie die Auslastung der anderen Teams ist und geben Sie die Möglichkeit, sich gegenseitig auszuhelfen.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg – und:
lassen Sie uns wissen, wie es Ihnen ergangen ist.

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